November/Dezember 2021: Kehrt der Fischotter in die Leinepolder zurück?
Artenreichtum wünschen sich viele Menschen in ihrem Umfeld. Manche Arten polarisieren jedoch, obwohl sie Bestandteil der natürlichen Flora und Fauna sind. Ein Beispiel dafür ist der Fischotter.
Die Leinepolder und ihre Umgebung werden vor allem als vogelreicher Lebensraum wahrgenommen. Doch die Landschaft mit ihren Fließgewässern bieten weiteren Tieren beste Lebensbedingungen. Unter den potenziellen Bewohnern ist eine echte Rarität: der Fischotter. Beispielsweise soll er bei Einbeck an der Ilme gesehen worden sein. Eine Wildkamera an der Leine lieferte jüngst Aufnahmen, die höchstwahrscheinlich einen Otter zeigen.
Was für Naturfreunde eine gute Nachricht ist, nehmen andere weniger erfreut auf. Ähnlich wie einige andere größere Säugetiere polarisiert der Fischotter. Wo er vorkommt, wird er beispielsweise von vielen Berufsfischern und Anglern mit Argwohn gesehen. Um die komplexe Situation besser einschätzen zu können, ist es hilfreich, diese Tiere, ihre Lebensweise und vor allem ihre aktuelle Bestandssituation näher kennenzulernen.
Verfolgung aufgrund übler Nachrede
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen bilden in Deutschland den Verbreitungsschwerpunkt des Fischotters. In einigen weiteren Bundesländern, darunter Niedersachsen, ist er ebenso vertreten, jedoch nicht flächendeckend. Unklar ist, wie viele dieser Tiere zurzeit in Deutschland leben. Einerseits ist das Zählen schwierig und andererseits halten sich Fischotter gern vor unseren Blicken verborgen – aus gutem Grund.
Lange Zeit hatten diese Säuger ein schlechtes Image, beruhend auf einer Reihe von „fake facts“, also falschen Fakten, wie wir heute sagen würden. „Man war im Mittelalter davon überzeugt, Fischotter würden sich auf Weiden schleichen und Lämmer töten“, erklärt Thomas Spieker von den Naturscouts Leinetal e. V. „Außerdem dichtete man ihnen an, sie würden im Wasser auf Jagdhunde lauern, die sich ans Ufer wagen. Dann würden sie sie packen und unter Wasser ziehen, um sie zu ertränken.“ Es ist sehr unwahrscheinlich, dass so etwas tatsächlich geschehen ist. Diese „bösen Tiere“ zu jagen, galt seinerzeit deshalb als sinnvoller Zeitvertreib. Noch dazu, weil Otter als Fischräuber in vermeintlicher Konkurrenz zu uns Menschen standen.
Später wurden sie außerdem erlegt, um ihre Felle zu Kleidungsstücken zu verarbeiten. Des Weiteren wurden sie ihres Lebensraumes beraubt, als der Mensch die Natur durch massive Umgestaltung mehr und mehr seinen Bedürfnissen anpasste. „Darunter fallen Maßnahmen wie die Begradigung von Flüssen, die Bebauung von Ufern und die Trockenlegung von Feuchtgebieten“, so der Naturkenner Spieker. Lokal kam ihm zufolge die Verschmutzung von Gewässern hinzu.
In Deutschland wird der Fischotter als vom Aussterben bedroht eingestuft. Bei Betrachtung seines Bestandes im gesamten riesigen Verbreitungsgebiet, das sich bis nach Asien erstreckt, erscheint die Lage deutlich positiver: Die Art gilt „nur“ als potenziell gefährdet – aber eben nicht als ungefährdet.
Haariger Schwimmathlet
Sein schlanker und lang gestreckter Körper verrät, dass der Fischotter zur Familie der Marder gehört. Inklusive seines circa 40 cm messenden Schwanzes kann er bis zu 1,3 m lang werden. Auf der Oberseite des Körpers ist das Fell dunkelbraun, auf der Unterseite hell bis weißlich, was vor allem in der unteren Gesichtshälfte und an der Kehle gut zu erkennen ist. Unter den bei uns heimischen Wildtieren hat der Fischotter das dichteste Fell. Bis zu 70 000 Haare finden sich auf einem Quadratzentimeter seiner Haut. Zum Vergleich: Menschen mit gesundem Haarwuchs haben 100 000 bis 150 000 Haare auf dem gesamten Kopf.
Dank dieses sehr dichten Fells wird die Haut des Fischotters beim Tauchen nicht nass. Im Wasser ist er in seinem Element. Wegen seiner schmalen und walzenförmigen Statur ist er ein hervorragender und wendiger Schwimmer. Etwa 70 % seiner Nahrung machen Fische aus. Obwohl er ein versierter Jäger ist, konzentriert er sich zumeist auf langsame und geschwächte Tiere. Wie andere jagende Säuger verausgabt er sich lieber nicht, indem er gesunden, sehr flinken Beutetieren nachstellt. Auf die Fischbestände eines gesunden Ökosystems kann sich sein Jagdverhalten positiv auswirken. Indem er schwache Individuen „aus dem Spiel nimmt“, pflanzen sich nur die fitten fort.
Neben Fischen frisst der Fischotter etliche weitere Tiere. Wasservögel wie Enten und Blässhühner müssen vor ihm ebenso auf der Hut sein wie Flusskrebse, Frösche und kleine Säuger. Vom Kaninchen über Mäuse bis zum Bisam passt alles in sein Beuteschema. Außerdem verzehrt er Insekten, Schnecken und manchmal Muscheln.
Familienbande
Am Ende des Winters halten sich die Männchen in der Nähe der Weibchen auf. Vor allem im Februar und März finden an Land die Paarungen der Fischotter statt. Zwischen 58 und 62 Tage dauert die Tragzeit der Weibchen, die bis zu vier Jungen werden demnach im Frühling geboren. Weil junge Fischotter nackt und blind sind, wachsen sie im Schutz eines Baus heran. Erst wenn sie etwas mehr als einen Monat alt sind, öffnen sie die Augen.
Sind die Jungen circa sechs Wochen alt, unternehmen sie ihre ersten Schwimmversuche und beobachten genau, was ihre Mutter tut. Meist werden die Jungtiere insgesamt acht bis 14 Wochen gesäugt. Danach verlassen sie die Mutter aber noch nicht. Sie bleiben etwa 14 Monate lang an ihrer Seite und erlernen das Jagen. Solange sie es noch nicht allzu gut beherrschen, sind sie darauf angewiesen, dass ihre Mutter sie mit Nahrung versorgt.
„Wer großes Glück hat, kann junge Fischotter manchmal beim Spielen beobachten“, so Thomas Spieker. Ob es den Fischotter rund um den Leinepolder schon wieder gibt, ist derzeit noch ungesichert. Allerdings ist eine Sichtung an der Leine bei Nörthen-Hardenberg bestätigt. Vielleicht erobern sich die Fischotter das Gebiet eines Tages zurück, wird zum dauerhaften Bewohner und pflanzen sich dort wieder fort. „Damit wäre eine weitere Tierart zurück, die durch den Menschen an so vielen Orten aus ihrem angestammten Lebensraum verdrängt worden ist. Und uns müsste es gelingen, uns mit ihnen zu arrangieren, ihnen Raum zu lassen.“