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Januar/Februar 2020: Weshalb wir Vögel brauchen – auch in den Leinepoldern

Angesichts des massiven Rückgangs der Vögel in den vergangenen Jahrzehnten sollten wir mehr empfinden als bloßes Bedauern. Denn die Gefiederten sind für uns wichtiger, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Vögel spielen in der Natur mehrere zentrale Rollen.

In Anbetracht des Vogelsterbens kommt den meisten Menschen als erstes in den Sinn, dass der Frühling irgendwann stumm werden könnte. Die Vogelgesänge würden im Klangbild der Natur fehlen, es würde sich einfach nicht mehr "richtig" anhören. Auch wird beklagt, dass mancherorts an Futterhäuschen die Besucherzahlen zurückgehen. Das bunte Treiben nicht mehr beobachten zu können, würden etliche Naturfreunde schmerzlich vermissen.

Diese beiden Aspekte sind vor allem mit dem persönlichen Erleben und dem Bedauern darüber, es nicht mehr genießen zu können, verknüpft. Viel gravierender wiegt aber, dass Vögel in der Natur eine Reihe wichtiger Aufgaben erfüllen, was jedoch häufig übersehen wird. Für die Vögel wäre es kein Problem, ohne uns Menschen auszukommen. Doch umgekehrt sind wir stärker auf diese Wesen der Lüfte angewiesen, als es den meisten von uns bewusst ist.

Natürliche Insektenregulierer

Wo die Natur im Gleichgewicht ist, gibt es eine fein regulierte Nahrungskette. Vögel gehören zu den sehr effizienten Insektengegnern, wie eine Studie von Martin Nyffeler und seinem Team belegt. Weltweit fressen Vögel jährlich etwa 400 bis 500 Millionen Tonnen Insekten – zumindest war das in der Vergangenheit so.

"Indem der Mensch unter anderem durch seinen enormen Flächenverbrauch und den Einsatz von Pestiziden Insekten in großem Stil verdrängt hat, wurde den Vögeln auch die Nahrungsgrundlage entzogen", erklärt Thomas Spieker von den Naturscouts Leinetal e. V. Der massive Rückgang der Vögel macht sich aber nicht nur in jenen Gebieten bemerkbar, in denen die Insekten durch den Menschen vernichtet wurden. Er betrifft vielmehr auch naturbelassene Gebiete, in denen die Vögel dann als natürliche Gegenspieler der Insekten fehlen.

 

Platz in der Nahrungskette

"Doch Vögel sind keineswegs nur Jäger, sondern überdies Beute“, weiß der Naturkenner Spieker. „Insektenfressende Kleinvögel fehlen anderen Tieren in der Nahrungskette, also beispielsweise jenen Vögeln wie dem Sperber, die sich unter anderem von kleinen Singvögeln ernähren."

Der Gedanke an Rabenvögel, die die Nester anderer Vögel plündern, ist vielen Menschen nicht angenehm und es werden zuweilen Stimmen laut, die den verstärkten Abschuss von Krähen, Elstern und Co. fordern. Tatsächlich dürfen sie in Niedersachsen geschossen werden – und das geschieht entsprechend durchaus. Dass jene Vögel aber wichtige Aasbeseitiger sind, wird nicht unbedingt bedacht. "In unserer Natur gehören Rabenvögel zu den effizientesten Aufräumern. Ohne sie würden in den Leinepoldern zahlreiche Tierkadaver zum Beispiel von Mäusen einfach liegen bleiben", so Spieker. "Das wiederum könnte der Ausbreitung von Krankheiten nicht nur unter den Tieren Vorschub leisten."

In anderen Teilen der Welt, darunter in Indien und Afrika, ist es wegen des Verschwindens der Geier bereits zu großen Problemen mit Kadavern gekommen. Vergiftete Wasserstellen, eine Massenvermehrung von Fliegen – die Maden leben vom Aas – und weitere für den Menschen potenziell gefährliche Begleiterscheinungen waren die Folge.

Vögel als Samenverbreiter

Jene Vögel, die pflanzliche Kost zu sich nehmen, verbreiten häufig die Samen der von ihnen verzehrten Gewächse. "In den Leinepoldern ist dieses Prinzip sehr eindrücklich bei den Misteln zu sehen", weiß der Naturscout Thomas Spieker. Ihre weißen Beeren werden unter anderem von Drosseln im Ganzen verschluckt. Die Samen passieren den Verdauungstrakt unbeschadet und werden von den Vögeln an anderer Stelle mit dem Kot wieder ausgeschieden. "So gelangen die Mistelsamen zu neuen Bäumen und können diese besiedeln, was ihnen ohne das 'Vogeltaxi' nicht gelingen würde", so Spieker.

Nun sind die Misteln zwar keine für uns Menschen übermäßig nützlichen Pflanzen. Doch das Beispiel steht stellvertretend für zahllose weitere ähnliche Fälle, in denen Vögel quasi gärtnern – und das nicht nur durch Forttragen der Samen im Verdauungstrakt. Indem sie für den Winter Nahrungsdepots voller Baumsamen anlegen, verteilen etliche Vogelarten Früchte wie Eicheln und Bucheckern teils recht weiträumig. Nicht benötigte oder vergessene Samen können im Folgejahr keimen, und das weit entfernt von der Mutterpflanze.

Uferschutz durch Vögel

 

Indirekt können Vögel sogar für die Befestigung von Uferzonen sorgen. Dort wachsen meist verschiedene Pflanzenarten, die von den Nährstoffen aus dem Wasser zehren. Damit sind sie wiederum attraktiv für verschiedene Pflanzenfresser, darunter zum Beispiel Schnecken. Würden sich diese in Massen vermehren, hätten die Pflanzen keine Chance. Damit würden sie verschwinden und ihre Wurzeln könnten die Uferbereiche nicht mehr befestigen. Beim nächsten Hochwasser würde Erde weggeschwemmt oder es könnten gar Deiche Schaden nehmen.

"Es gibt etliche Vogelarten, für die Schnecken und andere Wirbellose eine wichtige Nahrungsquelle sind", erklärt Thomas Spieker. "Weil sie diese Pflanzenfresser in Schach halten, sichern sie damit auch den Uferschutz, wenn man das Ganze ein paar Schritte weiter denkt." Zu den Vögeln, die in den Leinepoldern gern in der Flachwasserzone nach Wirbellosen suchen, gehören unter anderem Stockenten, Reiherenten und Höckerschwäne.

In dem großen Gebiet zwischen Einbeck und Northeim lassen sich derzeit glücklicherweise noch recht viele Vögel beobachten, wenngleich auch hier bei einigen Arten bereits Rückgänge zu verzeichnen sind. Wer sich nicht allein auf eine Vogelexkursion begeben möchte, für den besteht die Möglichkeit, sich einer geführten Tour der Naturscouts Leinetal anzuschließen oder eine solche individuell zu buchen. Weitere Hinweise gibt es auf Naturscours-leinetal.de.