Oktober 2016: Graue und weiße Reiher in den Leinepoldern
Noch vor nicht allzu langer Zeit gab es in unserer Natur vor allem große, graue Reiher zu sehen – die Graureiher eben. Doch seit einigen Jahren lassen sich außerdem immer häufiger weiße Reiher beobachten, unter anderem in den Leinepoldern. Was hat es mit diesen Vögeln auf sich?
Der Graureiher, früher auch Fischreiher genannt, gehört zu den bekanntesten Vögeln. Vielen Menschen ist er selbst dann vertraut, wenn sie nicht auf die Beobachtung von Vögeln spezialisiert sind. Seine Bekanntheit verwundert nicht, ist er doch die in Europa die am weitesten verbreitete und bei uns die häufigste Reiherart. Experten gehen davon aus, dass auf unserem Kontinent weit über 200.000 Brutpaare jährlich ihren Nachwuchs großziehen. Davon sollen mindestens 24.000 Paare in Deutschland brüten – eine stattliche Zahl.
Entlang der Leine zwischen Einbeck und Northeim sowie an der Northeimer Seenplatte halten sich diese bis zu 98 cm langen Vögel oft in den Uferzonen auf. Regelmäßig begeben sie sich zudem auf Wiesen und Felder. Sie jagen im Wasser nach Fischen, Amphibien und Insekten oder deren Larven. An Land versuchen sie Nagetiere wie Ratten oder Mäuse zu fangen. "Trotz ihres Zweitnamens Fischreiher fressen die grau, weiß und schwarz gefiederten Vögel also viel mehr als Fisch", erklärt Thomas Spieker von Naturscouts Leinetal e.V. Ihn fasziniert an den großen Schreitvögeln die Jagdtechnik, bei der sich die Tiere sehr langsam bewegen oder lange Zeit stillstehen und hochkonzentriert mit scharfem Blick die Umgebung betrachten. "Erblicken sie ein Beutetier, stoßen sie mit dem Schnabel blitzschnell zu – da haben oft selbst die schnellen Frösche keine Chance zu entkommen", so Spieker.
Graureiher sind für gewöhnlich Einzelgänger. Nur zur Brutzeit finden sie sich zu Brutkolonien zusammen. Ansonsten sieht man sie meist einzeln in der Landschaft stehen. Kommen sich zwei dieser Vögel einmal zu nahe, kann es zu kleineren Auseinandersetzungen kommen, bei denen sie die Flügel ausbreiten, das Gefieder am Kopf und im oberen Nacken sträuben und mit dem langen, spitzen Schnabel in Richtung des Kontrahenten hacken. Der Unterlegene fliegt dann meist bald davon und manchmal ist dabei ein rauer, krächzender Ruf zu hören – eine schöne Stimme haben die Graureiher wirklich nicht.
Lange Zeit hatten sie in unserer heimischen Natur vielerorts gewissermaßen die "Reiherhoheit", aber das hat sich inzwischen geändert, denn es sind rein weiß gefärbte Verwandte auf den Plan getreten.
Langbeinige, weiße Schönheiten
Da kann man schon mal stutzig werden. Graureiher ist man an Gewässerufern ja gewohnt, aber plötzlich steht da ein weißer Reiher – vielleicht ein Albino-Graureiher? Eher nicht, es handelt sich bei den bis zu einen Meter langen weißen Vögeln in den meisten Fällen um Silberreiher. Diese Art hat das größte Verbreitungsgebiet aller Reiher. Silberreiher kommen auf sämtlichen Kontinenten mit Ausnahme der Antarktis vor. Zum Vergleich: Der Graureiher bewohnt "nur" Europa, Asien und Afrika.
Beim erwachsenen Silberreiher ist der Schnabel leuchtend gelb gefärbt, auch die Iris ist gelb. Während der Fortpflanzungsperiode ist der nackte Hautbereich zwischen Auge und Schnabel grünlich. Die langen Beine sowie die Füße sind schwarz. Wie die Graureiher leben die Silberreiher vorzugsweise an Gewässerufern und ihre Ernährungsgewohnheiten entsprechen denjenigen der grauen Verwandten.
Bis zu 150 Individuen kommen derzeit im Leinetal zwischen Einbeck und Friedland vor. Davon leben maximal 55 im Polder. Die Vögel lassen sich hauptsächlich während des Winterhalbjahres in der Gegend beobachten, zum Beispiel an der Geschiebesperre. Vom nahe gelegenen Beobachtungsturm aus hat man mit einem Fernglas häufig gute Sicht auf die Tiere. Noch besser sieht man sie mit einem Beobachtungsfernrohr, einem sogenannten Spektiv.
Wer es sich leicht machen und diese Beobachtungsausrüstung nicht tragen möchte, mag vielleicht auf die Idee kommen, einfach die Wege zu verlassen und näher an die Vögel heranzugehen. "Das wäre aber fatal, weil sich nicht nur die Reiher massiv gestört fühlen würden. Sie und zahlreiche andere Vögel würden auffliegen und dadurch insbesondere im Winter wertvolle Energie verschwenden. Außerdem würden sie sich in dem Gebiet bald nicht mehr sicher fühlen und es langfristig meiden", erläutert Spieker. Das Wegegebot ist deshalb nicht nur im Sinne der Tiere, sondern auch im Interesse verantwortungsbewusster Naturbeobachter unbedingt zu wahren, denn nur so werden die Vögel langfristig im Leinepolder bleiben. Diese wichtige Verhaltensregel gilt neben uns Menschen natürlich auch für Vierbeiner. Hunde sind in dem Schutzgebiet grundsätzlich angeleint auf den Wegen zu führen. Sie dürfen nicht einfach querfeldein laufen, weil das die Vögel ebenfalls massiv stören würde.
Gefiederte Einwanderer
Übrigens lohnt es sich nicht nur während des Winterhalbjahres, nach Silberreihern Ausschau zu halten. Manchmal lassen sich die schönen Schreitvögel während des Sommers ebenfalls blicken, allerdings brüten sie nicht in den Leinepoldern – noch nicht.
"Spannend ist, dass sich die Silberreiher aus eigenem Antrieb in Europa weiter ausbreiten", erläutert Spieker. "Ursprünglich haben sie vor allem in Südosteuropa gebrütet, aber seit den 1990er Jahren zeigen sie sich vermehrt in Mitteleuropa. Für das Jahr 2012 gibt es sogar einen ersten belegten Brutnachweis für den Nordosten Deutschlands, wo zwei Silberreiher in einer Graureiherkolonie ihre Jungen aufgezogen haben sollen." Es ist damit zu rechnen, dass es hierzulande bald weitere Bruten dieser schönen Schreitvögel geben wird – vielleicht ja sogar in den Leinepoldern oder in deren Umgebung. Viele Vogelbeobachter der Region werden ein besonderes Auge auf eventuelle Silberreiherbruten haben.
Als möglicher Grund für die Ausbreitung dieser Vogelart nach Norden, also nach Mitteleuropa, werden die hohen Bruterfolge der vergangenen Jahrzehnte in Süd- und Südosteuropa angenommen. Weil sich dort die Bestände der Silberreiher vergrößert haben, gehen immer wieder einige dieser Vögel auf Wanderschaft, um neue Gebiete zu erschließen und um in ihrem alteingesessenen Areal nicht in zu starke Konkurrenz mit ihresgleichen zu treten.
Seltener weißer Vetter
Eine weitere rein weiß gefärbte Reiherart zeigt sich mitunter als seltener Gast im Leinepolder: der Seidenreiher. Er ist nur maximal 65 cm groß und damit erheblich kleiner als der Graureiher und der Silberreiher. Außerdem ist sein Schnabel schwarz, die Beine sind ebenfalls schwarz und seine Füße sind im Unterschied zu denjenigen seiner Verwandten gelb.
Seidenreiher leben auf unserem Kontinent vor allem im Süden. Seit einigen Jahren ist bei dieser Vogelart ebenfalls ein Vorstoß nach Mitteleuropa zu verzeichnen, weshalb hin und wieder Individuen in Deutschland gesichtet werden. In den Leinepoldern sind Seidenreiher in der Vergangenheit meist im Herbst und im Frühling zu sehen gewesen. Es lohnt sich also, insbesondere während dieser Zeiten die weißen Reiher genau zu betrachten. Vielleicht hat man ja Glück und sieht einen der seltenen Seidenreiher in der Naturoase an der Leine, aber auch einen Silberreiher zu beobachten, kann sehr spannend sein.
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