März 2016: Rastplatz für gefiederte Fernreisende - die Leinepolder
Aufbruchstimmung macht sich im Spätwinter in der Natur breit und für viele Zugvögel hat die Reisesaison sogar bereits begonnen. Von ihren südlichen Überwinterungsgebieten ziehen manche Vogelarten tausende Kilometer weit in hohe nordische Breiten. Zwischendurch legen sie an geeigneten Stellen oft kurze Pausen ein, um Kraft zu tanken. Die Leinepolder zwischen Einbeck und Northeim sind ein beliebter Rastplatz für gefiederte Fernreisende.
Mit den länger werdenden Tagen gewinnt die Sonne nach und nach an Kraft und viele Menschen zieht es nach dem eher dunklen Winter ins Freie. Die Zugvögel, die beispielsweise in Südeuropa oder Afrika überwintert haben, spüren dagegen einen inneren Drang, sich gen Norden aufzumachen. Etliche dieser Langstreckenflieger sind weniger als 100 Gramm schwer und reisen mit eigener Muskelkraft von einem Kontinent zum anderen – eine Leistung zum Staunen.
Ähnlich wie wir machen viele Zugvögel auf langen Reisen zwischendurch gern mal eine Pause, um sich von den Strapazen zu erholen und einen Happen zu sich zu nehmen. Was für uns die Autobahnraststätte ist, ist für die wandernden Vögel ein Gebiet, in dem sie Nahrung und Ruhe finden. Für viele Watvögel, auch Limikolen genannt, sind die Leinepolder ein solcher perfekter Ort zum Erholen. Von den Beobachtungstürmen, die dort vor einiger Zeit errichtet wurden, bietet sich im März häufig die Möglichkeit, diese Tiere in dem Schutzgebiet zu beobachten – am besten mit einem Fernglas oder einem Beobachtungs-Fernrohr (Spektiv).
Stochern nach tierischen "Bodenschätzen"
Watvögel suchen ihre Nahrung meist in den flachen und häufig schlammigen Uferzonen von Gewässern oder auf feuchten Wiesen. Sie wandern umher, wobei sie den Boden sehr genau im Blick behalten. An lohnenden Stellen stochern sie mit dem Schnabel im feuchten und weichen Untergrund und schnappen nach Beutetieren. Der Schnabel der Watvögel ist an diese Ernährungsweise perfekt angepasst, er ist bei vielen Arten verhältnismäßig lang und schmal. Das gilt häufig ebenso für die Beine der Tiere.
Allerdings finden sich unter den ziehenden Watvögeln ebenfalls kurzbeinige Arten, die wiederum meist auch keinen allzu langen Schnabel haben. Die Erklärung dafür ist einfach: Wer kurze Beine hat und sich nah über dem Boden befindet, braucht keinen langen Schnabel, um die Beute ohne übermäßiges Senken des Kopfes zu erreichen. Eine zweite Erklärung ist, dass die kurzschnäbligen Arten in vielen Fällen eher Nahrung zu sich nehmen, die sich an der Oberfläche befinden, wohingegen die Arten mit sehr langem Schnabel tiefer im Boden steckende Beute, zum Beispiel Würmer, problemlos erbeuten können.
Zu den Watvögeln, die in den Leinepoldern rasten, gehören unter anderem die Goldregenpfeifer, die während des Frühlingszugs bereits ihr Prachtkleid – auch Brutgefieder genannt – tragen. Der Bauch der Männchen ist dann schwarz und die Oberseite ist graubraun gesprenkelt. Außerdem weist sie goldbraune Bereiche auf, woher der Name dieser etwa 29 cm langen Vogelart rührt. Eine weitere unverkennbare Art, die in dem Schutzgebiet während des Zugs Rast macht, ist der Kiebitz. Typisch für diese circa 31 cm großen Vögel ist die lange, zweizipfelige Federhaube am Hinterkopf. Das nur auf den ersten Blick dunkel graubraun wirkende Gefieder an den Flügeln der Kiebitze schimmert im Sonnenlicht metallisch grünlich, bläulich oder violett. Einen besonders langen Schnabel hat die Bekassine, die zwischen 25 und 25 cm groß ist und deren Körperbau ein wenig gedrungen wirkt, weil sie den Kopf häufig zwischen die Schultern zieht. Bekassinen im welken Pflanzenmaterial und vor braunem, schlammigem Boden zu entdecken, ist aber nicht leicht. Die Vögel sind auf der Oberseite braun gefärbt und somit farblich gut an ihren Lebensraum angepasst. Zum Glück fliegen sie hin und wieder auf, dann hat man freie Sicht auf die Tiere.
Möchte man Watvögel in dem Schutzgebiet zwischen Einbeck und Northeim beobachten, sollte man sich dabei vor allem auf die Polder 1 und 4 konzentrieren, weil sich die Tiere vorzugsweise dort aufhalten. Zudem hat man im März besonders gute Chancen, die Vögel rastend zu sehen. Im April nimmt ihre Zahl deutlich ab, weil sie schon viel weiter nach Norden gewandert sind. Übrigens kann es mitunter vorkommen, dass man nicht nur vereinzelte Tiere am Zugvogelrastplatz antrifft, sondern überdurchschnittlich viele, denn sogar am Himmel herrscht nicht immer freie Bahn für den Zug in die Brutregionen.
Das Phänomen Zugstau
Wenn wir Menschen mit unseren Autos mal wieder im Stau stehen und Vögel über uns fliegen sehen, kann durchaus ein wenig Neid aufkommen. Sich frei in der Luft bewegen zu können, ohne an verstopfte Straßen gebunden zu sein, muss sehr komfortabel sein. Doch ganz so bequem wie wir annehmen, reisen gefiederte Langstreckenpendler bei weitem nicht immer. Unter bestimmten Bedingungen kann es zu einem sogenannten Zugstau kommen.
"Ihr Instinkt sagt den Vögeln, wann sie ihre lange Reise am besten beginnen sollten. Normalerweise funktioniert das sehr gut. Aber manchmal fliegen sie bei idealem Wetter los und geraten einige hundert Kilometer weiter nördlich in ein Gebiet, wo die Witterungsverhältnisse großräumig sehr viel ungünstiger sind als am Startpunkt. Dann müssen sie eine Zwangspause einlegen, weil sie mit einem Weiterflug unter Umständen ihr Leben riskieren würden", weiß der Vogelkenner Thomas Spieker von Naturscouts Leinetal e.V.
Mitunter halten sich sehr große Tiefdruckgebiete recht hartnäckig über Mitteleuropa und bringen den Vogelzug vorübergehend zum Erliegen. In den Randzonen der Schlechtwettergebiete landen dann immer mehr Vögel und bilden teils erstaunlich große Gruppen. So verursachte beispielsweise im März 2013 eine länger andauernde Schlechtwetterperiode einen massiven Stau unter Zugvögeln, durch den in Niedersachsen tausende Kiebitze auf den Feldern bestaunt werden konnten. Etliche andere Vogelarten mussten ihren Langstreckenflug damals ebenfalls gezwungenermaßen unterbrechen.
"In einer solchen Situation ist es für die Vögel ein Glücksfall, wenn sie in einem Schutzgebiet wie den Leinepoldern pausieren können“, erklärt Spieker. „Dort finden sie Nahrung, genügend Platz und sie sind vor Störungen durch den Menschen weitestgehend sicher, sofern sich alle Besucher des Gebiets an die allgemeinen Regeln halten." Hierzu gehört unter anderem, die Wege nicht zu verlassen und Hunde nicht über die Wiesen toben zu lassen. Wenn dort erschöpfte Zugvögel rasten oder bereits das Brutgeschäft der heimischen Arten begonnen hat, können spielende oder rennende Vierbeiner bei den Gefiederten eine regelrechte Massenpanik auslösen. Für echte Naturliebhaber und Tierfreunde sollte es sich von selbst verstehen, dies nach Möglichkeit zu vermeiden und ihre Hunde immer an der Leine zu führen.
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