Juli 2016: Gefiederte "Royals": Wachtelkönige in den Leinepoldern
Von Wachteln haben viele Menschen schon gehört – oder zumindest von ihren Eiern. Aber wer ist der Wachtelkönig? Etwa tatsächlich ein Monarch unter den kleinen Feld- und Wiesenvögeln? Ganz klar nein, er ist kein Adeliger und auch nicht mit den Wachteln näher verwandt. Dennoch ist er etwas Besonderes und er hat sein Königreich in den Leinepoldern.
Wer hätte das gedacht? In dem geschützten grünen Gebiet zwischen Einbeck und Northeim leben gefiederte "Royals", und das mitten in der Wildnis! "Vor unseren Blicken halten sich die scheuen Wachtelkönige zwar meist verborgen, aber wir wissen trotzdem, dass sie da sind", erklärt Thomas Spieker von Naturscouts Leinetal e.V. "Im Frühling und Frühsommer sind sie nicht zu überhören, die Männchen tragen dann ihre unverwechselbaren Rufe vor, allerdings meist in der Abenddämmerung und nachts."
Die Lautäußerungen der Wachtelkönige klingen wie ein knarrendes "Rerrp-rerrp" und man kann sie unter günstigen Bedingungen bis zu einen Kilometer weit hören. Müde werden die rufenden Männchen nicht so schnell, sie singen oft stundenlang, wobei sie für gewöhnlich auf dem Boden sitzen. Für ihre Artgenossen zeigen die Rufe an, dass ein Revier bereits besetzt ist. Für die Naturschützer der Region bedeuten die Rufe etwas anderes: Sie unterstreichen die große Bedeutung der Leinepolder für die Vogelwelt, denn mit dem Wachtelkönig lebt dort eine in Deutschland sehr selten gewordene gefiederte Kostbarkeit.
Ein König verliert sein Reich
Wachtelkönige sind nur 27 bis 30 cm groß und ihr Gefieder ist unauffällig gelblichbraun bis graubraun gefärbt, die Flanken sind rötlichbraun. Während der Brutsaison tragen die Männchen ihr Prachtkleid, ihre Federn sind dann an den Wangen und an den Seiten des Halses graubraun. Weibchen haben ebenfalls eine leichte Graufärbung an den Wangen, sie ist jedoch weniger ausgeprägt als bei den Männchen.
Die kalte Jahreszeit verbringen Wachtelkönige in Südostafrika. Sie treffen meist ab Anfang Mai in Europa ein, ziehen ihren Nachwuchs groß und fliegen schon im August wieder in Richtung Winterquartier. In den vergangenen Jahren haben die kleinen Vögel nach ihrer Rückkehr in Europa und somit auch in Deutschland immer weniger geeignete Lebensräume vorgefunden. Sie bevorzugen Gegenden, in denen es im Winter und im Frühling durch gelegentliches Hochwasser sehr feucht ist, also beispielsweise Feuchtwiesen, wie sie für die Leinepolder typisch sind.
Vor allem im vergangenen Jahrhundert sind von den Menschen in ganz Deutschland viele dieser für die Vögel wichtigen Lebensräume durch Entwässerung und anschließende Bebauung oder landwirtschaftliche Nutzung zerstört worden. Umso wichtiger sind die letzten intakte Feuchtwiesen und Verlandungszonen für die Wachtelkönige, die hierzulande als stark gefährdete Art gelten.
Neben der Trockenlegung ihrer Lebensräume werden diese Vögel außerdem von frühen Mahdterminen und von einer schnellen maschinellen Mahd bedroht. Weil sie sich bei Gefahr ducken und erst im letzten Moment davonfliegen, die Geschwindigkeit von Mähmaschinen aber oft unterschätzen, kommen immer wieder Wachtelkönige auf Feldern zu Tode – ein tragisches Schicksal, das ihnen in den Leinepoldern zumeist erspart bleibt. Dort wurden schon bis zu 45 rufende Männchen an einem Tag gehört, weshalb Experten wie Thomas Spieker davon ausgehen, dass etliche dieser Vögel in dem Gebiet auch brüten.
Sicherer Platz für Königskinder
Während der Zeit, die die Wachtelkönige und -königinnen in Mitteleuropa verbringen, können sie innerhalb einer Saison zweimal brüten. Dabei sind sie übrigens nicht monogam, sie testen nach der ersten Brut gern mal einen neuen Partner. Mit einem Schloss haben die Kinderstuben der Wachtelkönige nichts gemein. Es sind meist nur etwa zwölf bis 15 cm breite, in den Boden gescharrte Mulden, die zwar nicht mit Samt ausgekleidet werden, aber immerhin mit Gräsern und Moos. Darauf liegen die sechs bis 19 Eier, die vom Weibchen 16 bis 19 Tage bebrütet werden.
Nachdem die kleinen Wachtelkönigskinder geschlüpft sind, erkunden sie sofort ihr Reich – sie sind sogenannte Nestflüchter. Befiedert und mit voll entwickeltem Gehör sowie mit geöffneten Augen kommen sie zur Welt und sie können schon kurz nach dem Schlüpfen laufen. Sie trippeln den Altvögeln hinterher, die sie durch die Wiesen führen, wo die Vogelfamilie gemeinsam nach Nahrung sucht. In den ersten drei bis vier Tagen füttern die Mütter ihre Jungen noch. Danach sind die Kleinen selbst dazu in der Lage, Fressbares zu finden. Allerlei Insekten wie Grashüpfer, Fliegen, Libellen oder Käfer stehen auf ihrem Speisezettel, darüber hinaus fressen Wachtelkönige Regenwürmer. Zu der tierischen Kost, die meist rund 80% ausmacht, kommt eine vegetarische "Beilage"; die Vögel fressen unter anderem feine Sämereien und junge Blätter.
Die anfangs mit schwarzen, flaumartigen Federn bedeckten Jungtiere werden nach 34 bis 38 Tagen selbstständig und sehen dann bereits ähnlich graubraun aus wie ihre Eltern. So alt wie diese werden viele junge Wachtelkönige jedoch leider nicht. Die Sterblichkeitsrate innerhalb des ersten Jahres liegt bei 70 bis 80% – das Leben ist für junge Wachtelkönige kein Ponyhof!
Abschließend bleibt noch die Frage, woher diese Vögel ihren Namen haben. Weil Wachtelkönige in ähnlichen Lebensräumen vorkommen wie Wachteln und ein wenig größer sind als diese, hat man früher angenommen, sie wären gewissermaßen die Anführer der kleineren graubraunen Vögel. Innerhalb des Vogelreichs sind die beiden Arten jedoch nicht näher miteinander verwandt. Die Wachtelkönige gehören zu den Rallen, wohingegen die Wachteln zur Familie der Fasanenartigen und somit zur direkten Verwandtschaft unseres Haushuhns zählen.
Wer Wachtelkönige erleben möchte, kann im Sommer beispielsweise am Beobachtungsturm Höhe Immensen die Ohren spitzen und auf die knarrenden Lautäußerungen dieser scheuen Vögel lauschen. Sie zu sehen, ist ausgesprochen schwierig, weil sie sich lieber vor unseren Blicken verborgen halten. Nicht nur um die Privatsphäre der gefiederten "Adeligen" zu wahren, ist bei Wanderungen immer das Wegegebot zu beachten. Läuft man querfeldein, stört man viele empfindliche Tiere und Pflanzen, darunter den Wachtelkönig. Damit wäre sein kleines Königreich unnötig gefährdet. Also lieber nur lauschen und sich an den krächzenden Rufen erfreuen.
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